Mittlerweile sind Ethnoregale aus den heimischen Supermärkten kaum wegzudenken. Nicht nur, dass heute jede hierzulande tätige Supermarktkette auf bekannte Lebensmittelprodukte aus Ex-Jugoslawien oder der Türkei nicht mehr verzichten kann: Manche Marken wie Vegeta, Argeta oder Brajlovic sind schon längst im österreichischen Mainstream angekommen.
Einer der Hauptgründe dafür sind allerdings schon längst nicht mehr nur die migrantischen Communities, die von Haus aus auch eine emotionale Affinität zu diesen Marken mitbringen. „Es sind auch immer mehr Österreicher und Österreicherinnen, die gewisse Marken aus ihrem Adria-Urlaub in Kroatien oder Montenegro kennen. Wenn sie diese dann im Regal ihres Supermarktes sehen, greifen sie immer öfter zu, auch weil sie damit oft eine schöne Erinnerung aus dem Urlaub verbinden“, erklärt Amin Reda, Sales Director der Adriatic Group, dem führenden Unternehmen im Lebensmittelbereich wenn es um den Vertrieb von Produkten des Westbalkans auf dem EU-Markt geht.
Ethnofood: EU-weit eine Erfolgsgeschichte
Die Gruppe mit Hauptsitz in Wien, die seit 2003 in Österreich tätig ist, ist mittlerweile mit über 500 Produkten in 16 Ländern der EU vertreten. Mit einem Gesamtumstaz von 80 Millionen jährlich ist die Gruppe ein europaweit agierendes Unternehmen mit zehn Tochtergesellschaften. „EU-weit sind wir in etwa 10.000 Märkten vertreten, in Österreich alleine sind es einige hundert und die Nachfrage steigt weiterhin. In Deutschland arbeiten wir vermehrt mit REWE zusammen und dort passiert derzeit eine massive Ausweitung von Ethnoregalen“, sagt Adriatic-Group-CEO Anel Cerimagic.
Ob in München, Dublin oder in Amsterdam: „Das Prozedere ist grundsätzlich immer ähnlich. Wir testen die Produkte in kleinen Ethnomärkten und, abhängig vom Erfolg, bringen wir sie dann in die Regale großer Supermärkte. Kein einziges Produkt wurde je wieder ausgelistet, jedes ist eine Erfolgsgeschichte für sich“, erklärt uns Reda, der gemeinsam mit Cerimagic für die Verkaufsstrategie der Adriatic Group verantwortlich ist. Nach der Gründung der Gruppe im Jahr 2003 entdeckten die beiden Wiener nämlich eine Marktlücke, als sie als erste größere Importeure begannen, Lebensmittelprodukte aus Ex-Jugoslawien auf den österreichischen Markt zu bringen. „Schon damals wurde uns schnell klar: Ethno-Food ist kein kurzfristiger Trend, sondern vielmehr die Antwort der Realwirtschaft auf die demographische Entwicklung Österreichs“, sagt Reda.
„Das Prozedere ist grundsätzlich immer ähnlich. Wir testen die Produkte in kleinen Ethnomärkten und, abhängig vom Erfolg, bringen wir sie dann in die Regale großer Supermärkte. Kein einziges Produkt wurde je wieder ausgelistet, jedes ist eine Erfolgsgeschichte für sich“,
Amin Reda, CSO Adriatic Group
Einwanderungs- und Auswanderungsströme spielen auch noch heute eine Rolle: So spüre man bereits jetzt die neue, dritte Einwanderungswelle von Menschen aus dem ex-jugoslawischen Raum. „Alle reden von den Zuwanderungen aus den Neunzigern, doch auch in den letzten Jahren kommen sehr viele Menschen aus dem Raum. Der Vorteil: Diese Gruppe mussten wir z.B., im Unterschied zu Zuwanderern der zweiten und dritten Generation, auch gar nicht speziell gewinnen, da sie bereits Kunden waren, die diese Marken und Produkte bereits von zuhause aus gewohnt sind. Noch dazu haben die meisten eine Kaufkraft von Anfang an“, erklären Reda und Cerimagic. Ebenso stieg z.B. die Nachfrage die letzten Jahre in Irland, einem Land in das in den letzten Jahren viele Kroaten ausgewandert sind.
Die unterschätzte Kaufkraft
Neben der Demographie, die vor allem für die Markteinführung von Ethnoprodukten ein wichtiges Fundament ist, ist die oft noch immer unterschätze Kaufkraft das größte Potenzial des Ethno-Food-Marktes. „Es gab 2010 eine Studie, nach der die Kaufkraft von Menschen mit Migrationshintergrund in Österreich 20 bis 25 Milliarden Euro war. Mittlerweile sind fast 10 Jahre vergangen und diese Zahl dürfte nun um einiges höher ausfallen. Weiters zeigt uns die Erfahrung, dass unsere Kunden keine preissensible Zielgruppe sind: Sie zahlen bewusst für die eine Marke, die sie haben möchten und deren Geschmack bzw. Qualität sie kennen. Auch an kleinen Standorten, wo wir vor einigen Jahren jährlich nur wenig Umsatz erwirtschaftet haben, hat sich die Situation in den letzten Jahren sukzessive geändert.
Wir sehen das an der gesteigerten Nachfrage und den eigenen Verkäufen: Der echte Boom von Ethno-Food steht uns erst bevor“,
konstatiert Anel Cerimagic, CEO
Wir sehen das an der gesteigerten Nachfrage und den eigenen Verkäufen: Der echte Boom von Ethno-Food steht uns erst bevor“, so CEO Cerimagic. Obwohl heutzutage vor allem Free-from-Produkte einen großen medialen Hype erleben, sei das Potenzial von Ethno-Food – alleine aufgrund demographischer Zahlen – weitaus größer, betont man in der Adriatic Group. „Laktosefreie Produkte sind für eine überschaubare Anzahl der Menschen in Österreich ein Thema. Ethno-Lebensmittel – wenn man an die ex-jugoslawische Community z.B. denkt – jedoch für fast 800.000 Menschen“, so Reda.
„Mut, der sich auszahlt“: Penny als Marktführer
Auch wenn mittlerweile keine Supermarktkette in Österreich mehr ohne Ethno-Regal auskommt: „Penny hat beispielsweise den vollen Umfang des Potenzials erkannt und hat sein Ethno-Sortiment in mehreren Warengruppen stark ausgeweitet. Weiters gibt es dort seit diesem Jahr auch regelmäßige Flugblatt-Aktionen, die sich dezidiert diesem Thema widmen. Die entprechenden Umsatzzahlen sprechen für sich.“ Wie Cerimagic und Reda berichten, bekam man von Penny die Chance sich in mehreren Nischen – vom Kühlsortiment bis zu den Süßwaren – mit den Produkten zu beweisen. Der Trend der Ethno-Produkte zum Mainstream zeige sich zum Beispiel an den Marken aus Italien oder China, die einst auch als Ethno-Produkte eingeführt wurden und heute Standard-Sortiment darstellen. „Neben den enormen finanziellen Nutzen sind Ethnoregale auch ein politisch wichtiges, inklusives Signal: Durch Vielfalt im Regal kann gegen die Spaltung der Gesellschaft bewusst gesteuert werden“, betont Reda.
Der Top-Seller: Cevapcici made in Österreich
Abgesehen vom Vetrieb bekannter Marken aus Ländern wie dem ehemaligen Jugoslawien, setzt die Adriatic Group auch auf hauseigene Produkte wie Ajvar (nach hausgemachter Art) oder Cevapcici von Brajlovic, die zu einem Top-Seller wurden. Dabei rühmt man sich mit einer bosnischen Original-Rezeptur, kombiniert mit österreichischem Fleisch: Bei der hauseigenen Brajlovic GmbH kommen die Rohstoffe und Wertschöpfung zu 100 % aus Österreich.
Ethno-Regale: Schweden und England als Vorreiter
Obwohl noch nie so viele Ethnoprodukte am heimischen Markt präsent waren wie heute, steckt die Entwicklung dieser Marken und Produkte in Österreich noch immer in den Kinderschuhen, vor allem im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wie Schweden oder England. Wie Anel Cerimagic und Amin Reda erzählen, haben Ethno-Regale in englischen oder schwedischen Verbrauchermärkten mittlerweile zwischen 10 und 20 Metern Länge. „In Österreich ist man mit ein bis drei Metern in den Supermärkten der großen Ketten noch relativ sparsam unterwegs, aber wir sind uns sicher, dass sich das mittelfristig ändern wird“, sagen die beiden Experten.